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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

01/2022 Starker Auftritt

Aktuelles

Text Nicolas Gattlen | Fotos Daisuke Hirabayashi, Rasmus Hjortshøj, Jan Bitter, Doris Hüsler

In nur vier Tagen stand der Neubau am Hirtenweg in Riehen (BS): Per Autokran wurden 18 Holzmodule drei Geschosse hoch auf den Betonkeller gestapelt und anschliessend miteinander verschraubt. Die Module sind je 15 Meter lang, 3,85 bis 4,15 Meter breit und bis 3,05 Meter hoch. Alle Installationsarbeiten, ein Teil des Innenausbaus sowie die komplette Ausstattung der Badezimmer erfolgten zuvor im Werk der Erne AG Holzbau. Auf der Baustelle wurden im Innern nur noch die Unterlagsböden gegossen, die Parkettböden verlegt, die bereits werkseitig tapezierten Wände gestrichen und die Küchenzeilen installiert. Aussen waren in erster Linie Anschlussarbeiten im Fassaden- und Dachbereich notwendig.

Die Vorteile des Holzmodulbaus
Von der kurzen Bauzeit profitierte nicht nur die benachbarte Mieterschaft, die nur während weniger Wochen Lärm und Staub ausgesetzt war, sondern auch die Bauherrin (Stadt Basel): Sie durfte sich über frühere Mieteinnahmen freuen. Dank der hochpräzisen Vorfertigung im wettergeschützten Werk konnten zudem die Baukosten tief gehalten werden. Beim BIM-gestützten Holzsystembau wird der Materialausschuss auf ein Minimum reduziert und Nachbesserungen auf der Baustelle sind kaum je nötig. Im Vergleich zur «klassischen» Vorfertigung (2D-Elemente) erfolgen beim Modulbau (3D) noch mehr Arbeitsschritte im Werk, bis hin zur kompletten Ausstattung der Räume. Die verschiedenen Arbeiten lassen sich so minutiös getimt ausführen, was auf einer Baustelle nicht möglich ist.

Auch die saubere Trennung von Tragwerk und Gebäudetechnik spricht für den Modulbau: Die Bauteile lassen sich einfach demontieren und die zumeist unverschnittenen Stoffe wieder in den materiellen Kreislauf zurückführen. Je nach Alter und Zustand können sogar ganze Module wiederverwendet werden, was die Ökobilanz weiter verbessert. Besonders gross ist dieses Potenzial bei den temporären Bauten: Module von provisorischen Schulhäusern etwa können an neue Standorte wechseln, sie lassen sich um weitere Einheiten ergänzen oder neuen Nutzungen zuführen. Erne Holzbau hat mit wiederverwendbaren Modulen gar ein eigenes Geschäftsfeld entwickelt. Dabei hat die Kundschaft die Wahl zwischen Kauf, Miete, Leasing oder Rückkauf.


Grosse Gestaltungsfreiheit

Während sich der Modulbau bei den temporären Gebäuden etablieren konnte, ist er bei den permanenten Bauten noch ein Nischenprodukt. Hier belasten ihn hartnäckige Vorurteile: «Viele Architekten und Bauherren glauben, dass man mit der Modulbauweise in einem Raster gefangen ist», erklärt Thomas Wehrle, Leiter Technik bei Erne Holzbau. «Das trifft aber nicht zu. Gerade der Holzbau ist – im Unterschied zum Stahlmodulbau – nicht auf Raster fixiert. Bei der Bemessung der Module und bei ihrer Gestaltung gibt es grosse Freiheiten. Grenzen setzt primär der Transport.» Auch der für den Bau in Riehen verantwortliche Architekt Harry Gugger zeigte anfangs Respekt vor den Eigenheiten des Modulbaus: «Oft wirkt er wie eine monotone Stapelung von Kisten, die auch innen durch eine strenge Struktur beengte Räume produziert. Dies konnten wir durch viele diagonale Raumbeziehungen und maximale Öffnungen in den Modulen vermeiden.» Alle neun Wohnungen sind mit raumhohen Fenstern zu mindestens zwei Seiten orientiert und grosszügige Öffnungen im Innern überspielen die strenge Grundstruktur.

Grossen Gestaltungsspielraum gibt es auch bei den Fassaden. Sie können die Modulbauweise kaschieren oder wie in Riehen hervorheben: Das Raster der Fassaden zeichnet hier die Formate der einzelnen Module nach. Spielerisch durchbrochen wird die Struktur durch Fassadenstützen aus Brettschichtholz, die am oberen Ende gebogen sind. Auch die fünfgeschossige «Dortheavej Residence» (66 Wohnungen) in Kopenhagen und die Überbauung «79&Park» (160 Wohnungen) in Stockholm verbergen ihre Modulbauweise nicht, im Gegenteil: Das verantwortliche Architekturbüro BIG (Bjarke Ingels Group) setzte die Bauweise bewusst in Szene und schaffte durch geschickte Arrangements der Holzmodule ausdrucksstarke Erscheinungsbilder. Beim Studentenwohnheim «Woody» in Hamburg (371 Mikro-Appartements) wurden die Holzmodule im Werk mit verschiedenen Fassadenmustern ausgestattet, die sich im fertigen Bau zu einem überdimensionalen plastischen Flechtwerk ergänzen.


Modulbauten in Serie

Derart grosse Modulbauten sind in der Schweiz nicht zu finden. Samuel Renggli, Leiter Business Development bei der Renggli AG, erklärt, dass dazu die Rahmenbedingungen verbessert werden müssten. Auch wünscht er sich eine intensivere Auseinandersetzung mit der seriellen Bauweise. In Deutschland etwa wird das serielle modulare Bauen von Politik und Wirtschaft verstärkt gefördert. So schuf der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) 2018 eine Rahmenvereinbarung für das serielle modulare Bauen – eine Art Katalog mit zukunftsweisenden modularen Wohnbauten (und festgelegten Preisen). Einige Städte haben bereits Typengenehmigungen in ihre Bauordnungen aufgenommen. Rund 2500 Wohnungen sind aktuell im Zuge der GdW-Vereinbarung im Entstehen. Der Skalierungseffekt sei wichtig, sagt Samuel Renggli. «Erst mit vielen seriell produzierten Einheiten kann der Modulbau sein ganzes Potenzial ausspielen.»

Die Renggli AG hat schon früh serielle Einfamilienhaus-Typen entwickelt. Mit dem «R: Modular-Hybrid»-System soll nun der Mehrfamilienhaus-Markt erschlossen werden. Erstmals umgesetzt wurde das Konzept bei der Überbauung «Hello Lenzburg» (20 Wohnungen). Im Gegensatz zu bisherigen Modulbauten kommt in Lenzburg ein Stahlgerüst als Tragwerk zum Einsatz, die Module werden darin eingehängt. Der Vorteil dieses Systems: Es ermöglicht hohe Bauwerke mit identischen Modulen (ohne Verstärkungen je nach Lage), denn die Lasten werden durch die Stahlbauteile ins Fundament abgetragen. Mit einer ausgeklügelten Schallentkoppelung zwischen Holz- und Stahlbauteilen wird zudem die Schallübertragung deutlich reduziert. Auch Wärmebrücken hat man gut im Griff; das Stahlgerüst ist in den warmen Bereich integriert. Als erstes hybrides modulares Mehrfamilienhaus der Schweiz erreicht «Hello Lenzburg» gar den Minergie-A-Standard.

Planungsprinzip RaumRaster
Auf ein ähnliches Konstruktionsprinzip setzte die Bauunternehmung schaerraum ag bei einem fünfstöckigen MFH-Neubau in Horw: Statt aus Stahl ist ihr «Skelett» aus Holz gefertigt: Es trägt die gesamte Last des Gebäudes. Darin eingesetzt sind flexibel kombinierbare Holzmodule mit einem Mass von 3,5 auf 3,5 auf 3 Meter. Dank dem innovativen Planungsprinzip («RaumRaster») konnte das Gebäude in nur acht Monaten und auf sehr wirtschaftliche Weise gebaut werden: Die Mietpreise liegen rund 20 Prozent unter dem orts-
üblichen Durchschnitt.

Energie-, ressourcen- und kostensparend ist auch die Haustechnik: Sie ist in jeder Wohnung in einem vorgefertigten Modul inklusive Badezimmer, Küchenspüle, Heizung, Kühlung und Lüftung untergebracht. Durch die smarte Koppelung der Klimatechnik mit den Energiepfählen, der Wärmepumpe, den Solaranlagen auf Dach und Carport und einem Batteriespeicher produziert das Gebäude rund 50 Prozent mehr Energie, als es verbraucht. Das Projekt wurde im Januar mit dem renommierten Preis «Watt d’Or 2022» ausgezeichnet.
 

Aus- und Weiterbildungen

MAS Holzbau: Im berufsbegleitenden Studiengang «MAS Holzbau» der Berner Fachhochschule lernen die Teilnehmenden die Eigenschaften von Holz und Holzwerkstoffen von den Grundlagen bis hin zum aktuellen Stand der Technik kennen. Je nach Interesse und Wissensstand kann man aus einem umfangreichen Angebot verschiedene Zertifikatskurse (CAS) auswählen und sich damit die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben, um Holz als Baumaterial kompetent einzusetzen. bfh.ch


Plattform für modulares Bauen

Die Onlineplattform modulart diskutiert den «State of the Art» der modularen Bauweise mit Beiträgen zu Forschungsarbeiten und visionären Ideen. Unter dem Begriff «Projekte» werden regelmässig wegweisende Bauten vorgestellt. Initiiert wurde die Plattform vom Büro Bauart Architekten. Partner sind unter anderem die Unternehmen Erne AG Holzbau, Blumer-Lehmann AG, Renggli AG und Alho Systembau AG sowie die Hochschulen HSLU, BFH und EPFL.

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