02/2015 Bewahren und erneuern
Wohn.kultur
Mustergültige Holzbausiedlung
Die Wohnüberbauung Hegianwandweg in Zürich-Wiedikon war 2003 die erste Holzbausiedlung ihrer Grössenordnung. Damit wurde sie zum Prüfstein für die damals geplante – und heute realisierte – Überarbeitung der Brandschutzvorschriften.
Es ist schon einige Jahre her, dass die Stadt Zürich das knapp 13'000 Quadratmeter grosse Areal am Fusse des Uetlibergs in Wiedikon erwerben konnte. Zu jener Zeit, man schrieb das Jahr 1998, waren im Kanton Zürich nur zweigeschossige Wohnbauten mit ausgebautem Dachgeschoss zulässig. Übernehmen wollte das Grundstück im Baurecht die Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ). Der von ihr durchgeführte Wettbewerb brachte das Siegerprojekt der Architekten von EM2N hervor, das durch seine Erscheinung, Architektursprache und die städtebauliche Integration überzeugte. Holzbauingenieur Pirmin Jung erinnert sich: «Gefordert war eine möglichst nachhaltig nutzbare Wohnüberbauung. So entschieden sich die Architekten für einen Massivbau mit zentralem Betonkern mit Treppe, Lift und Sanitärräumen und um den Kern umlaufender Raumschicht. Als der Holzbauer Peter Studer, der Onkel eines der Architekten, bei einem Besuch im Architektenbüro das Modell und die Pläne sah, fragte er, ob dies ein Holzbau werden würde. Die Architekten verneinten zuerst, meldeten sich aber kurz darauf bei uns und wir entwickelten die Idee eines Holzbaus gemeinsam weiter.» Der Enthusiasmus für eine Mischbaulösung wuchs mit der Zeit bei allen Beteiligten. So entschied sich die Bauherrschaft für einen Mischbau und übernahm so eine Pionierrolle im Holzbau.
Ein Pilotprojekt in Sachen Holzbau
Mithilfe von Reinhard Wiederkehr von Makiol+Wiederkehr wurde für die Überbauung am Hegianwandweg ein eigenes Brandschutzkonzept erstellt. Dieses diente gleichzeitig der Kantonalen Feuerpolizei Zürich und der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF) als Pilotprojekt im Hinblick auf die 2005 in Kraft tretende neue Brandschutznorm.
Die Siedlung Hegianwandweg hatte viele Erwartungen zu erfüllen. Sie musste statische, konstruktive, bauphysikalische und brandschutztechnische Forderungen einhalten, ohne dabei aber kostentechnisch den Rahmen zu sprengen. Die Bauherrschaft entschied sich trotz der Mehrkosten von etwa drei Prozent dafür, in einen Holzbau zu investieren. «Einen Bau in dieser Grössenordnung gab es bis dahin nicht. Um Sicherheit zu erlangen, wurde im Vorfeld zur Submission ein Grossmuster eines Zimmers eins zu eins realisiert, an dem überprüft wurde, ob die Zusammenarbeit an den Schnittstellen auch gewährleistet werden kann und ob alles letztlich auch den Vorstellungen der Bauherrschaft entspricht», so Jung. Der Holzbauingenieur ist davon überzeugt, dass dieses Projekt zeigen konnte, dass der Holzbau die technologische Reife als Bauweise für mehrgeschossige Wohnbauten auch in städtischen Gebieten erlangt hatte.
Wegweisend für den Siedlungsbau
Fast zehn Jahre später ist in Zürich eine weitere Holzbausiedlung der FGZ entstanden: Die Genossenschaftssiedlung Grünmatt am Friesenberg. Dass das Projekt am Hegianwandweg im städtischen Siedlungsbau etwas ausgelöst hatte, weiss auch Pirmin Jung: «Unserer Meinung nach hat die Wohnbausiedlung am Hegianwandweg eindrücklich aufgezeigt, dass mit der Holzbauweise vielfältige Architektur in hoher Qualität umgesetzt werden kann. Ausserdem hat die Siedlung das Vertrauen in den mehrgeschossigen Holzbau gestärkt.»
Für nachhaltiges Bauen
Die Keller, die Erschliessungszonen mit den Treppenhäusern und den Nasszellen sind betoniert, alle anderen Bauteile wie Decken, Aussenwände und Balkone sind in Holzsystembauweise gebaut. Eine Vorgenehmigung für das neue Brandschutzkonzept erteilte die Kantonale Feuerpolizei im August 1999, im Oktober 2000 fiel der Startschuss für die Entwicklung des Bauprojekts und Anfang 2001 begannen die Bauarbeiten. Abgeschlossen wurde das Projekt im Jahr 2003. «Nach Vollendung hat die Bauherrschaft unzählige Gruppen von Bauinteressenten und Architekten durch die Liegenschaft geführt. Dies zeigte uns, dass auch sie vom Endergebnis überzeugt war», sagt Jung. Entstanden ist eine nachhaltige Holzbausiedlung mit fünf vier- beziehungsweise fünfgeschossigen Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 74 Mietwohnungen, einem Gemeinschaftsraum, einem Kindergarten und zwei Ateliers. Die Grundrisse der Wohnungen variieren zwischen 64 und 139 Quadratmetern. Die Wohnzimmer bilden meist das Herzstück der Wohnungen und verfügen über eine Fläche von ungefähr 28 Quadratmetern. Die Siedlung hebt sich mit ihrem grosszügigen Raumkonzept von den damaligen, durch Reiheneinfamilienhäuser geprägten, kleinräumigen Behausungen der FGZ ab. Hauptanliegen der FGZ war es, dass die Wohnungen nicht nur Besserverdienenden zugutekommen, sondern auch Familien mit geringeren Einkommen. So kostet beispielsweise eine 4,5-Zimmer-Wohnung mit 114 Quadratmetern Fläche monatlich rund 2000 Franken, exklusive Nebenkosten.
Austausch im Quartier
Die 74 erstellten Wohnungen wurden rund zur Hälfte durch Neuzuzüger belegt. Dadurch konnte eine Durchmischung der Bewohnerschaft langfristig gesichert werden. Der Austausch unter den Bewohnern wird nicht zuletzt auch mit den sorgfältig konzipierten Aussenräumen gefördert. Die fünf Baukörper sind versetzt zueinander angeordnet, was dem Grundstück eine gewisse Verspieltheit verleiht. Dazwischen liegt die vielseitige, gemeinschaftlich nutzbare Grünzone. Die bunt gestalteten Felder und die verschiedenen, um den Siedlungsplatz angelegten Pflanzengärten laden Kinder zum Spielen und Erwachsene zum Verweilen ein. Das Endergebnis überzeugt die Macher und Bewohner gleichermassen und hat sich in den bisherigen zwölf Jahren seines Bestehens bestens bewährt. Architekt Christof Zollinger von EM2N freut sich: «Der Holzbau geniesst bei den Bewohnerinnen und Bewohnern nach wie vor einen grossen Sympathiebonus.»
Beteiligte Unternehmen (Auswahl)
Bauherrschaft: Familienheim-Genossenschaft Zürich FGZ, Zürich
Architekt: EM2N Architekten AG, Zürich
Projektleitung: Christof Zollinger (Associate)
Mitarbeit: Marc Holle (Associate), Wolfgang Kessler, Katharina Klinger,
Jean-Pierre Meyer, Christoph Rothenhöfer, Vincent Traber
Holzbauingenieur: ARGE Pirmin Jung Ingenieure für Holzbau AG, Rain (LU),
und Makiol + Wiederkehr, Beinwil am See (AG)
Holzbauer: ARGE Heinrich Hatt-Haller (Zschokke Holding SA) und Brunner Erben, Zürich
Das Projekt – die Fakten und Zahlen
Grundstücksfläche: 12'900 m2
Geschosszahl: 4- und 5-geschossige Gebäude
Geschossfläche: 14'400 m2
Gebäudevolumen: 49'700 m3
Kubikmeterpreis: CHF 580.– (nach Sia 116) und CHF 700.– (nach Sia 416)
Baukosten: CHF 33 Mio.
Holzbausystem: Erschliessungskern betoniert, Decken in Brettstapel mit auskragenden Balken im Balkonbereich, Aussenwände in Holzrahmenbauweise, Innenwände in Gips/Metallständerwänden
Material: Holz – Konstruktionsholz, Brettschichtholz 350 m3, Brettstapelelemente 1300 m3,
Platten – Gipsfaser- und Gipskartonplatten 7300 m2
Baubeginn: 2002
Fertigstellung: 2003