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Hochgestecktes Ziel

Der neue Aussichtsturm von Stadel (ZH) sollte aus Holz des umliegenden Waldes erbaut werden. Ein Vorhaben, das eine gute Planung voraussetzt – nicht zuletzt, um dem Naturmaterial die nötige Zeit zur Trocknung zu geben.

Text Susanne Lieber | Fotos Roland Bernath | Pläne Graf Biscioni Architekten

 

Offiziell wird er «Turm Stadlerberg» genannt. Einige nennen ihn allerdings auch «Lilienturm» – und das hat eine besondere Bewandtnis: Der 25 Meter hohe Holzbau, der sich oberhalb von Stadel (ZH) aus dem Wald erhebt, lehnt sich in der Form an eine Lilie an. Eine solche ziert das Wappen der knapp 2000 Einwohner grossen Gemeinde nördlich von Zürich. Eine abstrahierte Lilienblüte war es denn auch, die der Entwurfsidee des beauftragten Büros Graf Biscioni Architekten aus Winterthur zugrunde lag. Dass die Gemeinde nicht umhinkam, den Vorgängerturm – ebenfalls ein Holzbau – abzureissen, war dessen maroden Zustand geschuldet. Mehr als 55 Jahre hatte die Witterung am alten Aussichtsturm genagt. Eine Sanierung wäre nicht mehr rentabel und zudem viel zu aufwändig gewesen. Also fiel im Herbst 2020 bei einer Gemeindeversammlung der Entscheid für einen Ersatzneubau. Bereits im darauffolgenden Winter folgte dann einer der wichtigsten Schritte dieses Bauvorhabens: die frühzeitige Bereitstellung des Fichten- und Lärchenholzes, das aus den umliegenden Wäldern stammen sollte. So blieb genug Zeit für eine schonende Trocknung bis zum Baustart. Der alte Turm wurde erst im Herbst 2022 abgebrochen, also unmittelbar vor Baubeginn des neuen Turms, der nun in diesem Frühjahr eingeweiht werden konnte.


Ein Hoch auf den Neuen!

Stolz ragt der neue Holzturm in die Höhe. Bevor man allerdings die Aussichtsplattform erreicht, muss man Ausdauer beweisen: 138 Stufen wollen erklommen werden. Die Mühe lohnt sich aber allemal, denn der Ausblick verspricht eine 70 Kilometer weite Sicht auf rund hundert Gipfel der Voralpen, auf das Zürcher Unterland, die Gemeinde Stadel und das Treiben auf dem nahe gelegenen Flughafen Zürich. Auch unmittelbar unter und um den Turm herum kann man einiges entdecken, was den Holzbau zu einem attrak­tiven Ausflugsziel macht: eine Grillstelle mit Holztischen und Sitzgelegenheiten, einen Kinderspielplatz, aber auch sogenannte Geschichtenposten, die auf dem Weg zum Turm (ab Haltestelle Stig) für Unterhaltung sorgen.


Blühende Konstruktion

Die Silhouette einer Lilie nachzuzeichnen, ging über eine rein formale Entwurfsidee hinaus. Den äusseren drei «Lilienblättern» – sie sind von der Frischknecht Holzbau Team AG als ausgesteiftes Fachwerk ausgeführt – wurden auch statische Aufgaben implementiert. Sie dienen zur Aussteifung des Treppenkerns und nehmen darüber hinaus auch die vertikalen Lasten der Aussichtsplattform auf. Letztere besteht aus einem Trägerrost mit einer Dreischichtplatten-Abdeckung und einem Bodenbelag aus Lärchenholz. An der schmalen Stelle des Turms, sozusagen an seiner Taille, wurden die «Lilienblätter» (im unteren Teil dreieckig, oben trapezförmig) mit Stahlknoten und eingeklebten Gewindestangen miteinander verbunden und schützen die Kons­truktion vor der Witterung.

Der Treppenkern besteht aus zwölf Stützen. Diese sorgen dafür, dass die Lasten von Treppenlauf, Podesten, Aussichtsplattform und Dach auf das Fundament übertragen wird. Das Treppenauge ist als dreidimensionales Fachwerk ausgebildet, das zur horizontalen Stabilität des Treppenkerns dient.

Der Anschluss eines «Lilienblatts» an einen der drei massiven Betonsockel – sie reichen jeweils 1,40 Meter ins Erdreich – erfolgt mit Stahlknoten, Verankerungen und eingeklebten Gewindestangen. Die drei Betonsockel sind in der Tiefe durch eine Stahlbetonplatte miteinander verbunden.


gebaut aus Schweizer Holz
Insgesamt wurden beim Turm über 100 Kubikmeter Holz verbaut – Holz, dass aus den Wäldern der unmittelbaren Umgebung stammt, weshalb der Bau mit dem Label Schweizer Holz zertifiziert werden konnte. Die Menge des verbauten Holzes, das etwa 75 Tonnen CO2 gebunden hat, wächst hierzulande in knapp fünf Minuten nach.

Der Aufbau des Turms wurde in einem Video festgehalten: stadlerberg.ch/video


Graf Biscioni Architekten

Gegründet wurde das Planungsbüro 2002 von den Architekten Roger Biscioni und Marc Graf in Winterthur. Das umfangreiche Leistungsangebot umfasst sämtliche Bereiche rund um Bauprojekte. Derzeit beschäftigt das Büro 20 Mitarbeitende. grafbiscioni.ch


Das Projekt – die Fakten

Projekt: Aussichtsturm «Turm Stadlerberg» (Ersatzneubau)
Fertigstellung: 2023
Bauherrschaft: Gemeinde Stadel (ZH)
Architektur: Graf Biscioni Architekten, Winterthur
Holzbauingenieur: Krattiger Engineering AG, Ingenieurbüro für Holzbau, Happerswil (TG)
Holzbau: Frischknecht Holzbau Team AG, Kloten (ZH)
Konstruktion/Tragwerk: dreidimensionales Fachwerk
Holzmenge und Holzart: 101,6 m3 Schweizer Holz (Fichte und Lärche, z.T. Käferholz)
Geschossfläche (Plattform): 47 m2
Gesamtkosten: CHF 890000 (davon Montagebau in Holz: CHF 410000 / Arbeit Sägerei: CHF 85000)
Auszeichnung: Der Bau ist zertifiziert mit dem Label Schweizer Holz (das Holz stammt aus Wäldern
der Gemeinde Stadel und wurde von lokalen Sägereien verarbeitet)

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