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Rauf ins Vergnügen!

Mit der neuen Talstation Unterwasser schaffen Herzog & de Meuron in Kollaboration mit Studio Noun ein hölzernes Pendant zur Bergstation Chäserrugg.

Text Susanne Lieber | Fotos Daisuke Hirabayashi | Pläne Herzog & de Meuron

Wer zum Chäserrugg (2262 m ü. M.) hinauf will, kommt an der Talstation Unterwasser nicht vorbei – es sei denn, man will den Gipfel unbedingt aus eigener Kraft erklimmen. Für alle, die lieber die bequeme Variante wählen, geht es von der Talstation zunächst per Standseilbahn zur Zwischenstation Iltios und von dort aus dann weiter mit der Luftseilbahn bis zum Chäserrugg.


Er ist einer von sieben Gipfeln, die zur Churfirsten-Bergkette – dem Wahrzeichen des Toggenburgs – zählen. Auf der Nordseite flacht der Bergrücken relativ sanft ins Toggenburg ab, auf der Südseite Richtung Walensee bildet er eine Steilwand.

Startpunkt für Bergbegeisterte
Der Chäserrugg ist ganzjährig eine beliebte Destination und lockt im Winter mit rund 50 Pistenkilometern. Im Sommer tummeln sich dort Bergwanderer, aber auch Gleitschirmflieger, die sich von dort aus in die Lüfte schwingen. Dementsprechend ist die Talstation Unterwasser ein zentraler Ausgangspunkt für Bergsportler – und ein attraktiver obendrein: Im letzten Jahr gestaltete das Architekturbüro Herzog & de Meuron (in Kooperation mit Studio Noun, Zürich) das Bahnhofsgebäude neu. Es ist bereits das sechste Projekt, das die Basler Architekten zusammen mit den Toggenburger Bergbahnen umgesetzt haben. Das wohl bekannteste Projekt davon ist die Bergstation Chäserrugg, ebenfalls ein Holzbau, der 2015 fertiggestellt wurde (s. S. 27). Mit der Talstation Unterwasser hat nun das Gipfelgebäude sein Pendant im Tal gefunden.

Der Holzbau in Unterwasser – das Projekt- und Baumanagement oblag unter anderem (wie schon bei der Bergstation) der Ghisleni Partner AG – ist aber mehr als «nur» Bahnhof für die Standseilbahn. Neben der offenen Halle, in der die Bahn zwischen den Fahrten kurz verschnaufen kann, sind auf der einen Seite ein Café, ein Bereich mit Schliessfächern und ein Informa­tions­schalter für Touristen angeschlossen. Auf der anderen Seite der Halle befinden sich das Büro der Klangwelt Toggenburg und Räume für die Logistik.


Sichtbare Holzkonstruktion

Überspannt wird der Holzbau, in dessen Mitte sich die offene Bahnhofshalle befindet, von einem grossen Giebeldach. Die Kons­truktion des Gebäudes ist klar ablesbar und schlägt somit eine gestalterische Brücke zur Bergstation Chäserrugg. Für die Umsetzung der neuen Talstation wurde die Alpiger Holzbau AG aus Sennwald (SG) hinzugezogen. Dass der Betrieb aus der Region kommt, war der Bauherrschaft – die Toggenburg Bergbahnen AG – wichtig. Überhaupt wurde darauf geachtet, möglichst Handwerker aus der Gegend in das Projekt zu involvieren. Und auch die Herkunft des Holzes spielte eine Rolle: Die Fichten für das Konstruktionsholz und die Innenverkleidung, die Eschen für die statisch besonders beanspruchten Bauteile und die Weisstannen für die Fassade stammen allesamt aus der Schweiz. Wobei erwähnenswert ist, dass es sich beim Holz für die Fassade, die Innenverkleidungen und die Bodenriemen um regionales Bergmondholz handelt. Summa summarum wurden 600 Kubikmeter Holz verbaut, 340 Kubikmeter kamen dabei als Konstruktionsholz zum Einsatz. Genau 237 Elemente wurden daraus in den Produk­tionshallen der Alpiger Holzbau AG vorgefertigt: Aussenwände, Innenwände, Decken und das Dach. Das grösste Element, das hierbei produziert wurde, ist eine Aussenwand mit 11 Metern Länge und 2,90 Metern Höhe. «Das entspricht etwa der Maximalabmessung für ein Element, das wir in unserem Betrieb noch produzieren können – und das auch noch transportfähig ist», erklärt Moritz Nänni, Projektleiter der Alpiger Holzbau AG.

Für den Abbund der Holzteile benötigte das Unternehmen 16 Tage, für die Fertigung der Elemente nochmals 22 Tage. Die Aufrichte nahm gerade mal 25 Tage in Anspruch. Insgesamt ging der Bau also zügig voran, was einmal mehr zeigt, worin einer der grössten Vorteile des Holzbaus liegt: in der kurzen Bauzeit.


Ein starkes Stück
Bei den beiden Mittelpfetten, die die Hallenbreite markieren und die Auflager des Sattel­dachs bilden, handelt es sich um die grössten und schwersten Bauteile. Eine Pfette wiegt jeweils 2,2 Tonnen und misst dabei eine Länge von 21 Metern. Auf den Mittelpfetten und den Fusspfetten liegen die Dachsparren sichtbar auf. Da das Dach der Topografie folgt und deshalb einen Knick nach oben macht, sind die Mittelpfetten an dieser Stelle ebenfalls geknickt. Genauer gesagt sind sie an dieser Stelle zusammengesetzt, wobei die beiden Teile mit einem Schlitzblech und Stabdübeln miteinander verbunden sind. Auch bei den Sparren lässt sich ausmachen, dass einige davon markante Knicke aufweisen. Die Sichtbarmachung der gesamten Tragwerkstruktur leistet dabei einen erheblichen Beitrag dazu, dass die Bahnstation als solider Funk­tionsbau wahrgenommen wird, der stimmig in seine Umgebung eingepasst wurde.


Brückenschlag zur Historie

Mit der Gestaltung der neuen Talstation in Holzbauweise – der Ursprungsbau aus den 1930er Jahren war aus lokalem Kalkstein erstellt worden – ging auch der Bau von zwei neu designten Bahnwaggons einher. Ausgestattet mit einem neuen, einzigartigen Fahrwerk, wurden sie in Langenthal von der Calag Gangloff AG gefertigt. Die Abteile sind nun grosszügiger bemessen und bieten mehr Platz zum Sitzen. Zudem setzen die Fenster tiefer an und sorgen für besseren Ausblick. Das Rot der Waggons aber ist geblieben – als Hommage an das historische Design. alpiger-holzbau.ch, chaeserrugg.ch


Bergstation Chäserrugg

Bereits bei der Bergstation Chäserrugg setzte das Architekturbüro Herzog & de Meuron 2015 auf Holz. Das Tragwerk und insbesondere die Dachkonstruktion des Holzbaus mussten dabei so konzipiert sein, dass sie den extrem starken Wind- und Schneelasten standhalten. Gefertigt wurde das Gebäude aus vorproduzierten Holzelementen (Blumer-Lehmann ARGE, Gossau). Der Bau wurde 2018 mit dem Prix-Lignum-Award in Gold ausgezeichnet – in Anerkennung der hochwertigen und wegweisenden Holznutzung in der Schweiz. Zudem erhielt die Toggenburg Berg­bahnen AG die Auszeichnung «Landschaft des Jahres 2021» für die touristische Infrastruktur von Chäserrugg/Toggenburg.


Herzog & de Meuron

Gegründet wurde das Schweizer Architekturbüro 1978 von den beiden Baslern und Pritzker-Preis-Trägern Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Neben dem Hauptsitz in Basel werden mehrere Dependancen unterhalten: in Berlin, Hongkong, London, München, New York, Paris und San Francisco. Zu den neuesten Gebäuden in der Schweiz zählt das Universitäts­-Kinderspital in Zürich (siehe FIRST 4.24). herzogdemeuron.com


Das Projekt – die Fakten

Projekt: Talstation Unterwasser (Chäserrugg), Toggenburg (SG)
Fertigstellung: Dezember 2024
Bauherrschaft: Toggenburg Bergbahnen AG, Unterwasser (SG)
Architektur/Realisation: Herzog & de Meuron, Basel; Studio Noun, Zürich
Projekt- und Baumanagement: Bauseits Partner AG, Zürich; (2014–16: Ghisleni Partner AG, Zürich, St. Gallen, Rapperswil)
Holzbauingenieur: Pirmin Jung Schweiz AG, Sargans (SG)
Holzbau: Alpiger Holzbau AG, Sennwald (SG); Projektleitung: Moritz Nänni
Konstruktion: vorgefertigter Elementbau
Holzarten: Fichte (Konstruktionsholz, Innenverkleidung, Bodenriemen), Esche (statische Bauteile), Weisstanne (Fassade)
Holzmenge: insgesamt 600 m3 (davon Konstruktionsholz: 340 m3)
Geschossfläche: 850 m2
Gebäudevolumen: 7500 m3
Gebäudemasse: 47 m × 33 m ×10 m
Besonderheit: Verwendung von Bergmondholz aus der Region

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